„Der Körper erinnert sich, auch wenn der Kopf längst weitermachen will.“
frei nach Bessel van der Kolk

Es ist nur ein Blick. Ein bestimmter Tonfall. Ein Geruch. Und plötzlich spüre ich deutlich meinen Körper. Anspannung in meiner Brust, der Atem wird flach, die Hände feucht. Ich fühle mich
löchrig, ungeschützt. Bevor ich überhaupt verstehe, was gerade passiert, hat mein Körper das Regiment übernommen und macht sich bereit für Kampf, Flucht oder Erstarrung.
Klingt wie der Beginn eines spannenden Thrillers? Es ist einfach nur die Job-Beschreibung meines Nervensystems. Es arbeitet im Hintergrund — 24/7 — und hat nur eine Aufgabe: herausfinden, ob ich
sicher bin. Dafür braucht es keine Dramen. Oft reicht eine Erinnerung aus der Vergangenheit.
Bei einer wahrgenommen Gefahr schaltet unser System auf Autopilot. Das geschieht ohne unser bewusstes Zutun. Je nachdem wie wir geprägt wurden, zeigt es sich ganz unterschiedlich:
- Kampf: wir werden laut, scharf, konfrontativ. Alles in uns will wieder Kontrolle herstellen.
- Flucht: wir ziehen uns zurück, verschränken die Arme, beginnen zu schweigen, verlassen den Raum.
- Erstarrung: Nichts geht mehr. Der Kopf ist leer. Worte gibt es nicht mehr. Kein Gedanke — kein Gefühl. Nur noch Leere. Der letzte Ausweg.
Das hat nichts mit unserem Charakter zu tun, wir sind auch nicht fehlerhaft. Diese Reaktionen sind tief verankerte Überlebensmechanismen, oft aus Situationen, in denen wir als Kinder keine andere
Wahl mehr hatten.
Die Herausforderung: Unser Nervensystem unterscheidet nicht zwischen damals und heute, zwischen realer Gefahr und Einbildung. Es reagiert auf Ähnlichkeiten. Die Lehrerin, die uns damals
bloßgestellt hat, klingt heute wie die Vorgesetzte im Meeting. Die Unsicherheit vor der Schulklasse wird im Vortrag für die Arbeitskollegen wieder lebendig.
Erst wenn wir begreifen, dass unser Reaktionen nicht gegen uns arbeiten, dass sie uns mal sehr wohl gedient haben und auch heute noch nur das Beste für uns wollen, kann Veränderung eintreten. Wir
können lernen mit unserem Nervensystem in Kontakt zu kommen. Ihm neue Erfahrungen zu geben und uns selbst zu sagen: „Ich bin sicher. Ich bin erwachsen. Ich bin da.“
Und manchmal reicht dafür schon ein Blick oder ein bestimmter Tonfall aus — im sicheren Rahmen.