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Warum ist die Regulation des autonomen Nervensystems so hilfreich für das Projekt "Sicher in die Sichtbarkeit"?

Warum setzen wir uns nicht einfach vor die Kamera und reden drauf los? Was hat es eigentlich mit den Schweißausbrüchen auf sich, und warum bekomme ich keinen klaren Gedanken mehr gefasst, wenn ich mich auf diese Art und Weise exponiere, also im schönsten Wortsinne zur Schau stelle.


Das autonome Nervensystem scannt 24/7 völlig an unserem Bewusstsein vorbei die Umgebung nach Sicherheit ab. Es macht seinen Job zu 100 %. Dabei ist es unerheblich, ob real eine Gefahr besteht. Die Auslöser können Trigger aus frühester Kindheit sein. Ist das autonome Nervensystem erstmal in Alarmbereitschaft, müssen wir uns wieder regulieren, entweder selbst oder durch Co-Regulation.


Wir kommen auf die Welt und sind zunächst einmal nicht fähig, uns selbst zu regulieren. Dafür brauchen wir andere Menschen. Im besten Falle haben uns unsere Bezugspersonen in den ersten Lebensjahren reguliert. D.h. jedes Mal, wenn unser System übererregt war, hat unsere Bezugsperson besänftigend auf uns eingeredet, uns gewiegt, uns etwas vorgesungen oder ähnliches. Damit konnten wir unsere innere Ladung los werden und uns wieder beruhigen.
Wenn wir diese Energie der Übererregung nicht losgeworden sind, also nicht aus unserem Körper herausgebracht haben, ist sie steckengeblieben und springt heute noch an, wenn wir ähnliches erleben.

Ein Beispiel: Ich stehe vor der Klasse um ein Gedicht aufzusagen. Ich mache einen Fehler und meine Mitschüler lachen mich aus. Ich schäme mich und möchte im Erdboden versinken. Bei mir Zuhause ist niemand, der Zeit und die Muse hätte, sich mit mir hinzusetzen, mir zuzuhören und mich dabei zu unterstützen die Energie der Scham und Peinlichkeit, die in meinem System umherwandert aufzulösen. Ich höre kein tröstendes Wort, spüre keine empathische Umarmung, sehe kein befreiendes Lachen, bekomme keine bestärkendes Schulterklopfen. Niemand da, der mir sagt: „Du bist gut, so wie du bist.
Ich schließen die Energie in meinem System ein. Damit lege ich unbewusst den Grundstein für zukünftige Trigger-Reaktionen.

 

An diesem einfachen Beispiel erkennen wir, dass die Ursprungssituation keine große Sache sein muss, zumindest aus heutiger Sicht nicht mehr. Und trotzdem ist sie vollkommen ausreichend, um uns aus der Gegenwart in eine vergangene Situation zu katapultieren über die wir keine Macht haben, da uns das Bewusstsein darüber fehlt.

Wie also kommen wir aus diesem Teufelskreis heraus?
Unser autonomes Nervensystem braucht ein Update. Wir müssen lernen, dass die Situation aus der Vergangenheit heute kein Grund mehr ist, sich in Gefahr zu wägen. Früher ist unser Bedürfnis nach Zughörigkeit bedrohlich verletzt worden. Nicht nur vor der eigenen Klasse, sondern — um in diesem Beispiel zu bleiben — auch zu Hause, wo niemand war, der uns die Sicherheit unserer Familie, unserer Sippe vermittelt hätte: eine lebensbedrohliche Erfahrung in diesem Alter. Heute, als erwachsener Mensch ist das keine große Sache mehr. Da lacht vielleicht einer im Publikum, weil ich mich verhaspelt habe. Ich werde es überleben und der andere soll sich doch selbst erstmal hier auf die Bühne stellen. So oder so ähnlich sieht eine gesunde, stabile Reaktion aus, aber nur, wenn unser Kindanteil nicht das Steuer übernimmt.  Was es braucht ist ein Update für unsere Nervensystem.